archiv

2009 : 2008 : 2007 : 2006 : 2005 : 2004 : 2003 : 2002 : 2001 : 2000 : 1999 : 1998 : 1997 : 1996 : 1995 : 1994

programmvorortsprung ins kalte wasser

einführung : temporäre lounge : akademie vor ort : collaborative practices : sprung ins kalte wasser
beiträge : sommerakdemie 2006

SPRUNG INS KALTE WASSER
Praxis als Forschung


Sønke Gau und Katharina Schlieben

3. Juni - 30. Juli 2006
Eröffnung: 2. Juni, 19.00 Uhr
Sommerakademie: 12. - 16. Juli 2006

Das Projekt Sprung ins kalte Wasser befasst sich mit Fragen der künstlerischen (Aus-)Bildung und künstlerischen Wissensproduktion und wurde im Dialog mit Studierenden und Dozierenden der F+F Schule für Kunst und Mediendesign erarbeitet. Ausgangspunkt war die Beschäftigung mit der eigenen Praxis: Was sind die Motivationen KünstlerIn zu werden? Welchen Beitrag kann die Kunst zur einer gesellschaftsrelevanten Wissensproduktion liefern? Ist die Kunst vielleicht eine Praxis, welche die Idee des transdisziplinären Denkens performativ vorführen und aktiv mitgestalten kann? Wer lernt von wem, was und wie? Weniger die Kunst an sich, als ihre Haltung oder ihre Ansätze, wie "Practice as Research", die überhaupt zu einer künstlerischen Behauptung führen, stehen im Zentrum der Analyse.

In einem vorbereitenden Seminar wurde der Reflektion der eigenen Lern- und Lehrbedingungen die Imagination einer "Wunschschule" gegenübergestellt. Dies wurde diskutiert in Bezugnahme auf Jacques Derridas utopisches Modell der "unbedingten Universität", die bedingungslos von jeder einschränkenden Bedingung frei sein sollte. Ein unvermeintlicher Anknüpfungspunkt für diese Diskussion ist die kritische Hinterfragung des so genannten "Bolognaprozesses". Im Zuge der angestrebten Harmonisierung der europäischen Hochschullandschaft sollen auch einheitliche Bewertungsmassstäbe für die künstlerische Lehre eingeführt werden. Den offensichtlichen Vorteilen der Schaffung eines europäischen Bildungsraumes, in dem der Wechsel und Austausch zwischen den verschiedenen nationalen Hochschulen erleichtert werden würde, stehen Befürchtungen, um die Verkürzung und Homogenisierung von Lehrinhalten und die Stärkung von Verwertbarkeitskriterien für die Wirtschaft/den Markt gegenüber. Dieses Konfliktfeld erfordert einerseits eine Analyse des Selbstverständnisses und der Verortung von Kunst(hoch)schulen/Akademien und stellt andererseits wieder einmal die grundsätzliche Frage nach der Lehr- und Lernbarkeit von Kunst.



Das Projekt möchte jedoch keineswegs nur die aktuellen hochschulpolitische Fragen und Diskussionen aufgreifen, sondern vielmehr bei der zeitgenössischen künstlerischen Praxis beginnen. So ist es in diesem Zusammenhang wesentlich, Projekte alternativer Wissensvermittlung und Konzepte selbst organisierter Ausbildungssituationen, Workshops und Schulen anzuschauen. Gerade die künstlerische Praxis hat Lehre und Vermittlung immer wieder untersucht und genutzt und hierzu Vorschläge entwickelt, die in diesem Projekt zur Disposition und Diskussion stehen, und mit denen wir unsere Überlegungen beginnen wollen.

Inwiefern ist ästhetische Praxis selbst ein Modell der Wissensproduktion, wie verhalten sich Theoriebildung und ästhetische Produktion zueinander? Beschäftigt man sich mit Wissensproduktion, kann es nicht um die Frage gehen, inwieweit sich theoretische Denkfiguren in der ästhetischen Praxis zeigen - dann ginge es um Illustration, und die Kunst wäre funktionalisiert zum Hilfsmedium - sondern, inwiefern sie diese selbst mitproduziert. Offeriert die künstlerische Praxis so etwas wie ein Modell/ein Konzept der Wissensproduktion? Kunst verhält sich im interessanteren Fall häufig dispositivisch, in dem sie auf aktuelle Debatten reagiert, sie re-interpretiert, Positionswechsel und Funktionsveränderungen provoziert. Die künstlerischen Interventionen markieren dann weniger nur eine Diskursanalyse, als dass sie vielmehr die Konditionen einer Diskursmanifestation untersuchen und die Wahrnehmung und Rezeption normativer Diskurshoheiten dekonstruieren.

Häufig operiert die künstlerische Praxis mit sozusagen "entliehenen" wissenschaftlichen Methoden. Zum Beispiel wurden aus der Ethnologie und der Anthropologie das Modell der "Fallstudie", des "Interviews" oder auch das Prinzip des "Mappings" adaptiert. Das archivarische Vorgehen gehört bereits zur Tradition künstlerischer Praxis. Es geht bei diesem Prozess jedoch nicht um eine 1:1 Übernahme der Methoden - die Methoden werden zwar entliehen oder adaptiert, werden aber durch den Prozess der Praxis vorgeführt, reflektiert, modifiziert und/oder erweitert. Die enge Zusammenarbeit mit "ExpertInnen" aus anderen Wissens- und Produktionsfeldern ist häufig Grundlage einer dialogischen Praxis, die eine andere Form der Wissensproduktion im transdisziplinären Sinne erproben möchte. Auch Ansätze des autodidaktischen Lernens, die einen genormten Regelkanon des Wissens negieren bzw. häufig durch die Befragung der Bedingungen des institutionalisierten Lernens motiviert sind, sollen in diesem Zusammenhang untersucht werden. Das Projekt Sprung ins kalte Wasser stellt darüber hinaus jedoch ebenso Fragen nach fehlenden Plattformen und Distributionsmöglichkeiten für selbst organisierten Strategien der Wissensvermittlung, die als Alternativen, zu denen von Staat und Wirtschaft und damit auch dem Kunstmarkt zur Verfügung gestellten, begriffen werden können.

Das Thema "künstlerische (Aus)Bildung/Wissensproduktion" wird seit längerem von verschiedenen Seiten untersucht: Universitäre Forschungsansätze debattieren über die "Erforschung künstlerischer Praxis" und die Frage mit welchen methodischen Ansätzen (z.B. "Artistic Research" oder "Practice as Research") vorgegangen werden soll. Studierenden von Kunst(hoch)schulen/Akademien haben das Modell von selbst organisiertem Lernen in "Freien Klassen" erprobt, und eine Vielzahl von neu konzipierten Studiengängen, die eine andere Art der Kunstpraxis provozieren wollen, versuchen die Diskussion dieser Untersuchungen in ihre Curricula einfliessen zu lassen. Auch von Seiten der kulturellen ProduzentInnen zeichnet sich ein starkes Interesse ab, seien es prominente Beispiele, wie etwa die Manifesta 6, die statt eines Ausstellungsprojektes eine Manifesta School vorschlägt, oder selbst organisierte Projekte wie die Copenhagen Free University oder das Projekt School of Missing Studies - um nur einige zu nennen.



Sprung ins kalte Wasser greift einige Ansätze dieser Positionen auf, indem Projekte, die sich diskursiv, interventiv, assoziativ und dokumentarisch mit der Frage der künstlerischen Lehre und Ausbildung, bzw. kreativen Prozessen der Wissensproduktion auseinandersetzen, mit einer Sommerakademie verknüpft werden. Das Ausstellungsprojekt nimmt die prozesshafte Form eines Workshops an. Der Workshopcharakter findet sich sowohl in der Sommerakademie, als auch in vielen Ansätzen der Arbeiten wieder, die in diesem Projekt zur Disposition stehen. Die eigentliche Sommerakademie beschränkt sich auf einen Zeitraum von fünf Tagen (12. - 16. Juli), an welchen durchgängig von Mittags bis in den späten Abend ein verdichtetes Programm angeboten wird. Neben Workshops, wird es Vorträge, Screenings von ausgewählten Filmen, DJ-Sets, einen Bar-Betrieb und Diskussionsrunden geben, die auch für spontane BesucherInnen offen sind, eine produktive Atmosphäre des sozialen Austausches ermöglichen sollen und die Kommunikation zwischen Studierenden der Kunstschulen in der Schweiz fördern soll. Die angestrebte temporäre campusartige Begegnungssituation resultiert aus der Frage, wie eine Wunsch-(Kunst)schule aussehen könnte.

Gemeinsam mit den Studierenden wurde ein räumliches Setting entwickelt, welches versucht die Institution für bestimmte notwendige Funktionen der künstlerischen Produktion und der Vermittlung zu nutzen und sie gleichzeitig zu öffnen. Im Vordergrund steht der Anspruch der permanenten Neu-Erfindung, bzw. der Unabgeschlossenheit und der Transparenz von Abläufen, die eine Institutionalisierung vermeiden soll. Um diesen Anspruch der Öffnung in die Tat zu setzten, wird durch die Shedhalle ein Holzsteg gebaut, der über den Platz hinter der Roten Fabrik direkt zum angrenzenden See führt (der bildliche Titel des Projektes Sprung ins kalte Wasser verweist auf die notwendige Neugierde und das Wagnis während und nach der Kunstausbildung). Er soll - im Innenraum als auch im Außenraum - sowohl soziale Plattform für Veranstaltungen, als auch ein Verweis auf die transitorische Situation, eine Metapher für den Balanceakt sein. Ein Set bestehend aus flexiblen Funktionseinheiten (Küche, Büro, etc.) strukturieren und ergänzen das Setting. Zusätzlich deutet ein modulares Wandsystem Räume an, die mit mobilen Stellwänden je nach Nutzungsbedarf verkleinert oder vergrössert werden können. Die entstehenden Räume werden dann von den künstlerischen und dokumentarischen Arbeiten und Kommentaren erobert - subtil, z. B. als Fussnote oder offensiv. Durch die verschiedenen Dynamiken: Eröffnung, Sommerakademie, Veranstaltungen entstehen unterschiedliche Spuren im Szenarium, welche die BesucherInnen und Partizipierenden entdecken können.




Beiträge
Denise Altermatt; Johanna Billing; Annatina Caprez; Szuper Gallery (Susanne Clausen und Pawlo Kerestey); Copenhagen Free University; René Fahrni; Lilian Frei; Gruppo parole e immagini / Luca Frei; Christoph Giradet / Volker Schreiner; Liam Gillick; David Goldenberg; Ane Hjort Guttu; Saskia Holmkvist; IGZ (Mia Diener und Jana Vanecek); Mary Leidescher / Matthias Käser / Claude Treptow; Kinoapparatom (Simone Schardt und Wolf Schmelter); Jan Kopp; Maria Pask; Edith Pfister; RELAX (chiarenza & hauser & co); Hinrich Sachs; Angela Sanders; Gregor Schmoll; Miro Schawalder; Magda Stanova; THYLACINE (Mischa Düblin und Fabian Hachen); Carey Young

Sommerakademie
Sommerakademie: 12. - 16. Juli 2006