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ZEITUNG [02/06] - INTERVIEW MIT JUSTIN HOFFMANN

Die Shedhalle Zeitung möchte nicht nur Informationen zu den aktuellen Projekten vermitteln und Ausblicke auf das kommende Programm ermöglichen, sondern sich gleichzeitig auch mit der Geschichte der Institution auseinandersetzen. Seit ihrer Gründung Mitte der 80er Jahre hat die Shedhalle in ihrer Programmatik und Organisation eine Menge Weiterentwicklungen und Brüche erfahren (vgl. Ausgaben 1 – 4), aber auch spezifische Kontinuitäten herausgebildet. Unser Anliegen ist es in dieser Rubrik die jeweiligen ProtagonistInnen nach ihren Konzepten, Problemen und auch retrospektiven persönlichen Einschätzungen in Bezug auf die Shedhalle zu befragen. Nachdem wir mit der ersten Geschäftsleiterin Barbara Mosca begonnen haben, folgten in den nächsten Ausgaben Gespräche mit den Kuratorinnen Renate Lorenz, Sylvia Kafehsy, Ursula Biemann und Marion von Osten. Die chronologische Reihe fortsetzend, haben wir für diese Ausgabe Justin Hoffmann befragt.

INTERVIEW mit Justin Hoffmann
Du warst von 1997 bis 2000 im Team der Shedhalle als Kurator tätig. Wenn man sich die Projekte ansieht, die Du in der Zeit verwirklicht hast, fällt auf, dass es unter anderem zwei deutliche inhaltliche Schwerpunkte gibt: Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Formen von populärer Musik und ihre gesellschaftlichen Implikationen (If I Ruled the World. Politische Inhalte der Popmusik und ihrer Images, 1997; There is no business like business. Popmusik und Ökonomie, 1998) sowie die Beschäftigung mit Medien/Technik (Programm Fernsehen. Information, Angebot, Unterhaltung, 1999; Low Tech. billig, schön, langsamer, 2000). Diese ‘thematischen Stränge’ wurden später an der Shedhalle fortgesetzt und auch Du hast Dich an anderen Institutionen weiter mit ihnen beschäftigt. Wie kommt es zu Deinem spezifischen Interesse?

Popmusik, Super 8, Fernsehen oder Computergames sind Teilgebiete der populären Kultur, die ich gerne mit bildender Kunst als die andere Seite der visuellen Medien in Beziehung setze. Von der Seite der Kunst aus betrachtet interessiert mich, welchen Stellenwert die Kunst im Umfeld der populären Kultur und der Mediengesellschaft besitzt und bin dabei nicht so pessimistisch wie Adorno und seine NachfolgerInnen. Im Gegenteil wehre ich mich gegen eine Abschottung der bildenden Kunst, sondern sehe auch die positiven Effekte der populären Kultur auf die Kunst, u.a. indem sie ihren Status als Hochkultur und Elitekultur untergräbt.

1998 hast Du gemeinsam mit Marion von Osten an dem thematischen Schwerpunkt ‘Ökonomie’ gearbeitet. In Folge erschien ein Jahr später die Publikation Das Phantom sucht seinen Mörder. Ein Reader zur Kulturalisierung der Ökonomie (bbooks, Berlin). Ausgangspunkt der Untersuchung war die Verschiebung im Verhältnis von Kultur und Ökonomie vor dem Hintergrund von postfordistischen Arbeits- und Produktionsbedingungen. Die Verhältnisse haben sich seit dem nicht unbedingt verbessert. Die Shedhalle steht generell vor dem Problem, dass sie einerseits neoliberale (Selbst-)Ausbeutung kritisiert, andererseits aber prekäre Arbeitsverhältnisse reproduziert, in dem Projektteilnehmenden auf Grund der budgetären Verhältnisse keine angemessenen Honorare gezahlt werden können. Wie seit Ihr damals mit der Situation umgegangen und welche Perspektiven siehst Du?

Als ich 1997 anfing, stand ich vor der Situation einer finanziellen Krise, die durch Kürzungen öffentlicher Gelder und Schuldenabbau geprägt war. Diese schwierige Lage versuchte ich zu vermitteln, um Verständnis bei ProjektteilnehmerInnen zu bekommen, die in den Jahren zuvor gewöhnt waren, besser honoriert zu werden. Die Notwendigkeit des Lowbudget wurde aber von den meisten eingesehen und akzeptiert. Wenn man keine Alternativen hat, muss man sich auch nicht schuldig fühlen, wenig zu bezahlen. Jedoch scheint mir die gerechte Verteilung und die angesprochene Transparenz für das Funktionieren von Low-budget-Verhältnissen wesentlich zu sein. Die finanzielle Lage der nicht-kommerziellen Kunstinstitutionen wird sich durch die derzeitigen politischen Tendenzen nicht verbessern. Von daher kann man froh sein, dass es immer noch verschiedene Stiftungen wie in Deutschland die Kulturstiftung des Bundes gibt, die diese Form einer kritischen kulturellen und sozialen Praxis unterstützen.

Die Shedhalle hat eine gemeinsame Entstehungsgeschichte mit der Roten Fabrik und befindet sich nach wie vor auf dem Gelände. 1986 hat sich die Organisation abgespalten und einen eigenen Verein gegründet. Das hat zu einigen Reibereien geführt, die teilweise noch lange nachgewirkt haben. Während Deiner Zeit hat es einige Kooperationen gegeben, die versucht haben, bestehende Verbindungen zu stärken und/oder neue Vernetzungen zu anderen Gruppen an der Roten Fabrik zu schaffen. Wie beurteilst Du deren Erfolg und für wie wichtig würdest Du eine verstärkte Zusammenarbeit erachten?

Wir haben in der Zeit, als ich als Kurator tätig war, versucht, ein freundschaftliches Verhältnis zur Roten Fabrik aufzubauen, was mal mehr mal weniger gelungen ist. So gab es Kooperationen bei den Grafitti-Ausstellungen, bei einem Kongress Freier Radios und immer wieder mit der Fabrikzeitung. Dabei ging es nicht um eine Verwässerung unterschiedlicher Intentionen, sondern um das Profitieren aus einer sinnvollen Zusammenarbeit in Fällen kongruenter Interessenslagen.

Wenn man sich auf der Website der Shedhalle durch das Archiv der stattgefundenen Projekte klickt, dann fällt es auf, dass über die Jahre hinweg, relativ unabhängig von den jeweiligen KuratorInnen, einige künstlerische Positionen/Personen immer mal wieder involviert waren. Wie lässt sich das erklären? Gab/gibt es Deiner Meinung nach nur einen kleineren Kreis von KünstlerInnen/WissenschaftlerInnen/AktivistInnen etc., die kompatibel zur thematischen Ausrichtung der Shedhalle sind? Und wie siehst Du dies im speziellen auf die Situation in der Schweiz bezogen?

In der Tat ist die Zahl der KulturproduzentInnen, die konzeptuell, sozial orientiert und projektbezogen arbeiten, nicht nur in der Schweiz sehr begrenzt – was einerseits mit den finanziellen Verlockungen des Kunstmarkts zu tun hat, andererseits mit der Situation der Kunsthochschulen, auf denen eine solche Praxis nur sehr selten gelehrt wird. Ich bin bei Jahresausstellungen von Kunsthochschulen immer wieder überrascht, wie wenige Studierende jenseits formaler Fragen überhaupt ein Thema haben, mit dem sie sich intensiver auseinandersetzen. Die kommunikativen Möglichkeiten der bildenden Kunst werden häufig negiert oder unterschätzt.

Und abschließend: Du bist ja zur Zeit Direktor des Kunstvereins in Wolfsburg. Was sind Deine Pläne für die Zukunft?

Weiterhin möchte ich diese Stellung dazu verwenden, Projekte und Ausstellungen zu gesellschaftlich relevanten Fragen zu realisieren und dabei die Möglichkeiten der sehr besonderen Stadt Wolfsburg nutzen. So initiiere ich in Kooperation mit dem neuen Science Center phaeno das Festival phaenomenale mit einem umfangreichen Konzert-, Musik-, Workshop-, Vortrags- und Performanceprogramm – so eine Art transmediale für Norddeutschland.