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SYMPOSIUM

Rock el Casbah
Bourdieu, Algier, Bern, Banlieue

Symposium: 22./23. April 2006

22. April, Samstag:
14.00 – 18.00: Vorträge und Diskussionen
20.00 – 22.00: Filmprogramm mit Remember Resistance (Berlin)

23. April, Sonntag:
12.00 – 18.00: Vorträge und Diskussionen



Symposium im Rahmen der zweiten Thematischen Projektreihe
«Kolonialismus ohne Kolonien? Beziehungen zwischen Tourismus, Neokolonialismus und Migration»
Produktive Differenzen: Versuch einer Verortung im Diskurs

Symposium: 17. Dezember 2005, 15:00 - 19:00 Uhr
Shedhalle, Zürich
Konzeption: Kuratorium der Shedhalle in Zusammenarbeit mit Backstage*Tourismus

ReferentInnen:
Martina Backes
Christian Kravagna
Ramona Lenz
Viktoria Schmidt-Linsenhoff
Michael Zinganel
Peter Spillmann

Das erste Symposium im Rahmen der zweiten Thematischen Projektreihe «Kolonialismus ohne Kolonien? Beziehungen zwischen Tourismus, Neokolonialismus und Migration» möchte den Versuch unternehmen, (touristische) Raum- und Bildproduktionen vor dem Hintergrund einer mehrdimensionalen kolonialen Matrix zu untersuchen. Sowohl Ansätze aus der postkolonialen Theorie als auch Methoden und Analysen aus dem Kontext der Tourismustheorie werden zusammengedacht und einander gegenübergestellt. Daraus ergibt sich eine dialogische zweiteilige Form des Symposiums.

Ausgehend von der durch die postkoloniale Theorie vorangetriebenen Dekonstruktion vereinfachender binärer Identitätszuschreibungen und der fortschreitenden Ausdifferenzierung globaler Systeme durch die Zirkulation von Menschen, Daten und Gütern, die anstelle von linearen Strukturen mit festen Bezugspunkten eine rhizomatische Bewegung etabliert hat, sollen Verflechtungen von (visueller) Begehrens-/Bedeutungsproduktion und sozial-räumlichen (Macht-)Strukturen untersucht werden. Es soll der Frage nachgegangen werden, in wie weit die Vermischung und Verschiebung von Differenzbestimmungen und -erfahrungen innerhalb einer Dynamik von Bewegung und Lokalisierung an der medialen Bildproduktion und im realen Raum ablesbar ist und wie sie für andere/neue Identitätsmodelle nutzbar gemacht werden kann.

Das Symposium stellt in Hinblick auf diese Fragestellung Forschungsansätze aus der postkolonialen Theorie und Tourismustheorie vor, setzt sie in Beziehung zur kritischen Analyse kommerzieller Bildwelten von Werbung und Tourismusindustrie (Martina Backes), den Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Geschichtsreflexion (Christian Kravagna), befragt die Langlebigkeit von Stereotypen des Orientalismus und ihren Bedeutungswandel nach dem 11. September (Viktoria Schmidt-Linsenhoff), reflektiert die Bedeutung von Differenz im touristischen Raum (Michael Zinganel), analysiert die innereuropäische ethnologische Perspektive auf die Verknüpfung von Tourismus- und Migrationsprozessen im Mittelmeerraum (Ramona Lenz) und skizziert Strategien zur Betrachtung von lokalen globalisierten Settings aus der Perspektive der Akteure (Peter Spillmann).

Für unsere eigene transdisziplinäre, diskursive und kulturelle Praxis stellt sich angesichts vielschichtiger und multiperspektivisch angelegter alltagskultureller Settings und sozialer Verhältnisse, wie sie z.B. in touristischen Räumen - und an allen andern Orten, die ihre Identitäten in einer bewussten Differenz zum globalisierten Allgemeinen begründen - vorzufinden sind, einmal mehr die Frage nach einer sinnvollen Verortung der eigenen Arbeit und einem angemessenen Umgang mit den unterschiedlichsten Akteuren und ihren verschiedenen Motivationen und Perspektiven. In diesem Sinne soll das Symposium auch dazu anregen, relevante kritische Positionen jenseits der Opposition von high und low weiter zu denken.

TIMETABLE
15.00
Begrüßung und Einführung:
Multiperspektivische Blicke und ihre Akteure:
zwei Filme und Kommentare
Lötschenthal (1916)
Hotel Palace (1928)

1. Part:
15.30 Viktoria Schmidt-Linsenhoff (Trier)
16.00 Christian Kravagna (Wien)
16.30 Martina Backes (Freiburg i.Br.)

Diskussion

Pause

2. Part:
17.30 Michael Zinganel (Wien)
18.00 Ramona Lenz (Frankfurt am Main)
18.30 Peter Spillmann (Zürich)

Diskussion

Viktoria Schmidt-Linsenhoff
ORIENTALISMEN IM ANTITERROR-KRIEG
Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte der Ausstellungspraxis und ihrer Positionierung und mitverantwortliche Produktion von postkolonialen Diskurs befragt Schmidt-Linsenhoff die Grenzen der Repräsentationskritik im Kontext der Stereotypisierung der Orientalismuskritik.

Nach dreißig Jahren Orientalismuskritik und der künstlerischen Dekonstruktion von visuellen Stereotypen des Orientalismus ist seit dem 11. September die Aktualisierung seiner grobschlächtigsten Bilder in der politischen Rede und im kollektiven Imaginären, in Kunst und Populärkultur zu beobachten. Die kolonialkulturellen Stereotypen sind keineswegs verschwunden, sondern im Gegenteil heute wirkungsmächtiger als etwa in den siebziger und achtziger Jahren. Ich konzentriere mich auf das Bild der verschleierten muslimischen Frau und möchte seine transkulturellen Wanderungen über Genre- und Gattungsgrenzen, zwischen Kunst- und Kriegsfotografie hinweg verfolgen. Es geht um die Frage, warum die künstlerischen Strategien postmoderner Ironie und Repräsentationskritik nicht mehr ausreichend erscheinen und welche neuen zu erkennen sind.

Viktoria Schmidt-Linsenhoff ist Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Trier. Ihre Schwerpunkte liegen seit 1997 im Bereich der gender- und postcolonial studies, deren Fragestellungen sie in der Kunstgeschichte vom 17. bis 20. Jh. verfolgt. Es geht um Überschneidungen und metaphorische Verschiebungen zwischen kultureller und sexueller Differenz bzw. um Strukturanalogien in der visuellen Konstruktion von Identität und Alterität. V. Schmidt-Linsenhoff hat mehrere interdisziplinäre Sammelbände zu dieser Fragestellung mitherausgegeben und arbeitet derzeit an einer Monographie "Ästhetik der Differenz. Koloniale Gegendiskurse in der Kunstgeschichte vom 17. bis 21.Jh.". Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und kultureller Differenz, die nicht nur die Gegenwartskunst im Zeichen der Globalisierungsprozesse betrifft, sondern auch die kolonialen Blickregimes der älteren Kunstgeschichte seit dem Entdeckungszeitalter und den eurozentrischen Kanon der Kunstgeschichtsschreibung. V. Schmidt-Linsenhoff ist Sprecherin des Graduiertenkollegs "Identität und Differenz. Interkulturalität und Geschlechterdifferenz" und Mitbegründerin des "Centrums für Postcolonial und Genderstudien" an der Universität Trier. Durch Gastprofessuren an außereuropäischen Hochschulen (u.a. Cotonou/Benin) versucht sie den Horizont der angloamerikanisch dominierten postcolonial- und gender- studies zu erweitern.

Christian Kravagna
EXPEDITION ÖSTERREICH. KOLONIALISMUS LIGHT UND DAS PROBLEM SEINER STÄRKE.
Ausgehend von einer kritischen Betrachtung der Ausstellung "The Brasilian Expedition of Thomas Ender - Reconsidered" an der Akademie der bildenden Künste in Wien thematisiert der Vortrag Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Geschichtsreflexion. Aus einer postkolonialen Perspektive soll die Bedeutung historischer Praktiken des Reisens, Beschreibens und Sammelns für heutige Vorstellungen von Identität und Differenz untersucht werden. Dabei wird sowohl die Frage nach der Verortung Österreichs (als Land ohne Kolonien) auf der postkolonialen Landkarte zu stellen sein, als auch die machtvolle Wirkung tradierter Repräsentationsformen auf gegenwärtige Projekte der (kritischen) Darstellung imperialistischer Praxis und kolonialen Bewusstseins berücksichtigt werden müssen.

Christian Kravagna, Kunsthistoriker, Kritiker und Kurator. Derzeit Gastprofessor am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste Wien. Herausgeber der Bücher Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin: ID-Verlag 1997; Agenda. Perspektiven kritischer Kunst, Wien/Bozen: Folio Verlag 2000; und Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2001. Letzte Ausstellung: "Routes: Imaging travel and migration", Grazer Kunstverein, Graz 2002.

Martina Backes
REISEN BILDET - WERBUNG BLENDET?
Multikultur ist hipp - und zugleich ein politisches Konzept. Was unter Multikultur zu verstehen ist, wird nicht nur in gesellschaftlichen Debatten über die Integration von "AusländerInnen" oder über multiple Identitäten von MigrantInnen und dem postmodernen Individuum ausgehandelt. Auch die Werbung und die gesellschaftliche Praxis des Reisens sind an diesem Prozess beteiligt. Über die Tradition des Reisens wurde ein Wissen über kulturelle Differenzen generiert und gesellschaftlich verankert, das mit einer weiten Verbreitung einer visuellen Kultur zur Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden einherging. Heute beanspruchen die postmodernen Vagabunden, als die sich viele Reisende verstehen, einen kosmopolitischen Habitus oft exklusiv für sich. Erschaffen wird er mittels einer selektiven Auswahl und Integration des "Fremdkulturellen", aber auch des Randständigen und des Subversiven in die eigene Konsum- und Erlebniswelt. Anhand von Werbetexten und -bildern wird die kapitalistische und ideologische Inwertsetzung von Multikultur aufgezeigt. Hier spätestens wird deutlich, wie das Konzept der Multikultur an eine hegemoniale und herrschaftliche Praxis anknüpft, die schon den kolonialen Diskurs auszeichnete.

Martina Backes, prom. Biologin und Journalistin, seit 1999 im iz3w (informationszentrum dritte welt), Projektkoordinatorin von FernWeh - Forum Tourismus & Kritik. Mehrere Jahre Arbeitsaufenthalte in Ostafrika. Schwerpunktthemen: Entwicklungspolitik, Tourismus, gesellschaftliche Naturverhältnisse, postkoloniale Diskurse.

Michael Zinganel
DIFFERENZ ALS MOTOR DES TOURISMUS UND IHRE ZUNEHMENDE AUFLÖSUNG!
Die touristische Erfahrung der Individuen baut traditionell auf Differenz und auf die Erzählungen ihrer Erfahrungen von und mit dieser Differenz. Durch die zunehmende Mobilitätsbereitschaft von Reisenden und DienstleisterInnen und durch die zunehmende Ortlosigkeit vormals ortsspezifischer Attraktionen scheint sich diese Differenz zusehends aufzulösen. Nichtsdestotrotz bleiben andere Differenzen aufrecht oder werden neue Differenzen konstruiert. Dabei bildet die Tourismusindustrie globale kulturelle Verschiebungen ab, produziert aber auch selbst veränderte Wahrnehmungsmuster und Veränderungen im globalen Kulturtransfer.

Michael Zinganel, Architekturstudium an der TU Graz, Postgraduate am Fine Arts Department der Jan van Eyck Akademie Maastricht, Dissertation in Geschichte an der Universität Wien. Von 1996 bis 2003 Kurator für Bildende Kunst im Forum Stadtpark Graz, seit 2001 Univ.- Assistent am Institut für Gebäudelehre an der Technischen Universität Graz, Lehraufträge und Gastprofessuren an unterschiedlichen österreichischen Universitäten; Ausstellungen und Vorträge im In- und Ausland. Lebt und arbeitet als Kulturwissenschaftler, Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator in Graz und Wien. Arbeitsschwerpunkte u. a. "Die Produktivkraft des Verbrechens für die Entwicklung von Sicherheitstechnik, Architektur und Stadtplanung" und zuletzt "Tourismus als Motors des transnationalen Kulturtransfers. Publikationen (Auswahl): mit Matthias Marschik, Rudolf Müllner u. Georg Spitaler (Hg.) "Stadion. Architektur, Politik, Ökonomie" Wien 2005; mit Peter Spillmann (Hg.) "Backstage*Tours. Reisen in den touristischen Raum" Graz 2004; "Real Crime. Architektur, Stadt und Verbrechen" Wien 2003.

Ramona Lenz
MANCHMAL BEHAUPTE ICH, DASS ICH GRIECHE BIN" - MIGRANTISCHE DIENSTLEISTERINNEN IN DER TOURISMUSBRANCHE
Im Zuge von Dekolonialisierungprozessen in Afrika und Asien entzogen sich die außereuropäischen "Anderen" zunehmend der Forschung westlicher EthnologInnen. In den 60er und 70er Jahren konzentrierten sich einige von diesen daher auf die BewohnerInnen des Mittelmeerraums, die innereuropäischen "Anderen". In der Kultur dieser "Anderen" wurde dabei vornehmlich das Traditionelle und Ursprüngliche gesucht und gefunden. Ein entsprechender Blick auf die Länder des Mittelmeerraums findet sich in Reiseführern und Urlaubskatalogen. Den Bereisten wird auch hier eine Bewegung im selben Raum und in derselben Zeit abgesprochen. Zahlreiche gegenwärtige Entwicklungen machen derartige Repräsentationen jedoch fragwürdig, insbesondere Migrationsprozesse, wie in diesem Beitrag anhand von Beispielen aus Kreta verdeutlicht werden soll.

Ramona Lenz ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt am Main. Sie arbeitet an einer Promotion zum Thema "Auswirkungen der europäischen Mobilitätsordnung auf die Produktion von Kultur in Tourismusregionen auf Kreta und Zypern".

Peter Spillmann
DIE KRUX MIT DEN AKTEUREN
Nachdem - vorallem im Nachhall von Urrys "Tourist Gaze" - touristische Orte und touristischer Alltag intensiv unter dem Aspekt des Konsums von Bildern und Zeichen analysiert, kritisiert und bebildert wurden, scheint der Zugang zu und die Auseinandersetzung mit den Akteuren in touristischen Settings und damit auch die Reflektion über die Rolle der TheoretikerInnen und KünstlerInnen als eine spezifische Gruppe von Akteuren in diesem hochkulturalisierten Feld, komplizierter zu sein. Im Gegensatz zu ausschliesslich bildorientierten Forschung gilt in den performanzorientierten Ansätzen der Tourismustheorie die Aufmerksamkeit den front- und backstage Handelnden, ihren Motivationen, Interessen, Begierden und Beziehungen und den sozialräumlichen Settings, in denen diese inszeniert, erlebt und erfahren werden. Den Verlockungen des Lokalen erliegend, sind dabei schnell mal die Originale und Pioniere gefunden, aus welcher sich die Einzigartigkeit des Ortes wie von selbst erklärt. Was aber wenn Normalität vorherrscht. Ein kurzer Einblick in die Probleme eines sehr durchschnittlichen Ferienorts in der Schweiz.

Peter Spillmann, Künstler und Ausstellungsmacher in wechselnden Projekten und Arbeitszusammenhängen zu Themen wie Ökonomie, selbst organisierte kulturelle Praxis, Urbanismus und die kulturelle Konstruktion von Landschaft, u.a. never look back (2001), Be Creative! Der kreative Imperativ  (2003), Backstage*Tourismus (seit 2004), TRANSIT MIGRATION / MigMap (2005). Mitbegründer von verschiedenen selbst organisierten Projekten (u.a. Labor k3000). 2000 - 2002 künstlerischer Leiter der Ausstellung Route Agricole / Expoagricole im Rahmen des offiziellen Auftritts der Landwirtschaft an der Expo. 02. 2003/2004 Mitglied im Team des Kuratoriums der 6. Werkleitz Biennale "Common Property - Allgemeingut", Halle (Saale). Lebt in Zürich und Berlin.