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Frühe Postkarten – Medium zwischen Ferne und Heimat (2005)
Susanna Kumschick

Konzept und Installation

Die heutige Bilderflut erschwert die Vorstellung, was es bedeutete, anfangs des 20. Jahrhunderts ferne Welten und fremde Kulturen auf Ansichtskarten zu sehen. Weite Reisen waren in dieser Zeit noch nicht selbstverständlich und nur wenige Reisende hatten eine Fotokamera dabei. Auch illustrierte Zeitschriften und Zeitungen kamen erst später auf. So waren es vor allem die erschwinglichen Postkarten, die für die Zuhausegebliebenen das Bild fremder Länder und ihrer Bewohner prägten. Ihre Ansichten zeigen ein kleines Fragment aus einer fernen Welt und stehen doch für etwas Ganzes: für eine gelungene Reise, für ein fremdes Land und eine fremde Kultur.

Die in der Ausstellung präsentierten Ansichtskarten aus der Sammlung des Völkerkundemuseums der Universität Zürich entstanden in der Blütezeit der Postkarte. Sie wurden zwischen 1896 und 1930 produziert, verschickt oder gesammelt und basieren auf Fotografien, die vor allem in Asien, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika aufgenommen wurden. Sie erzählen vom Abenteuer des Reisens und dokumentieren das grosse Interesse der Europäer an unbekannter Flora und Fauna, an exotischen Sitten und Ritualen und an der Andersartigkeit der Menschen fremder Kulturen.

Kurze Zeit nach der Erfindung der Ansichtskarte in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sie sich zu einem Gebrauchsobjekt der Alltagskultur von immenser Verbreitung. Nachdem Fotografien als Bildvorlagen verwendet wurden, wuchs ihre Attraktivität. Die Erfindung neuer Drucktechniken wie Lichtdruckverfahren, Farblithographie und Autotypie ebneten den Weg für ihre Karriere als populäres Massenprodukt und die sowohl effiziente wie auch kostengünstige Beförderung durch die Post machte sie zu einem der selbstverständlichsten und beliebtesten Kommunikationsmittel. Der 1875 in Bern gegründete Weltpostverein vereinfachte zudem den internationalen Postaustausch und ermöglichte den weltweiten Erfolg der Ansichtskarte.

Nach dem Ersten Weltkrieg klang die grosse Zeit der Ansichtskarte langsam ab. Einerseits erhielt sie Konkurrenz von illustrierten Zeitungen und Zeitschriften, andererseits hatten Reisende immer häufiger selbst eine Fotokamera zur Hand. Für den Absatzrückgang der Ansichtskarten war auch die schlechte wirtschaftliche Lage verantwortlich. Viele Karten verloren mit Kosten sparenden, schnelleren Drucktechniken und billigeren Materialien an handwerklicher Qualität. Schematisierte, industrielle Produkte begannen den Markt zu dominieren. Ihre Funktion übernehmen heute immer mehr privat verschickte Digitalbild- und Wortbotschaften.

Viele frühe Ansichtskarten zeigen eine paradiesische Welt und erfüllen damit eine ihrer wichtigsten Bestimmungen, nämlich eine glückliche Botschaft zu überbringen.

Das Interesse am Porträt des „Fremden“ war damals gross. Oft wurden im Studio Einheimische mit auserlesenen Requisiten in Szene gesetzt, die einmal mehr ihre Naturnähe und Primitivität unterstrichen. Auf den pittoresk anmutenden Studioaufnahmen wird der „Fremde“ zur Antithese des modernen europäischen Menschen. Ob im Gruppenbild oder im Einzelporträt, die Aufmerksamkeit galt weniger dem Individuum, als vielmehr den typischen Vertretern eines Volkes. Dies bringen vor allem Bildlegenden zum Ausdruck, welche die Porträtierten klassifizierend etikettieren. Die typisierende Darstellung ist ein ausgeprägter Anspruch der Ansichtskarten und betont deren zeitlosen Charakter.

Der Glaube an die wirklichkeitstreue Wiedergabe einer Fotografie, der in dieser Zeit noch kaum hinterfragt wurde, erhöhte auch die Attraktivität von Ansichtskarten mit Szenen aus dem Alltag und rituellen Bereichen, welche das Bedürfnis der Reisenden aufzeigen, das authentische Leben fremder Kulturen zu beobachten, ja daran teilzuhaben und diese Erfahrung mitzuteilen. Auch wenn Ansichtskarten in erster Linie für den populären Geschmack eines westlichen Publikums produziert wurden, wird oft ein ethnographisches Interesse spürbar.

Die frühen Ansichtskarten dokumentieren nicht nur die europäische Sicht auf ihre Kolonien, sie erzählen auch von der Kulturgeschichte des Tourismus. Reisen wurde im Zuge der verkehrstechnischen Vernetzung der Welt immer attraktiver. Ansichtskarten reisten mit. Ihre Texte und Bilder zelebrieren die Mobilität der Moderne und das Abenteuer des Unterwegsseins. Im Zeichen der Fortschrittsgläubigkeit waren Eisenbahn, Dampfschiff und Automobil beliebte Ansichtskartensujets.

Weltenbummler und Abenteurer, Kolonialbeamte, Forscher und Bildungsbürger, Auswanderer, Missionare und Händler – sie waren es vor allem, die damals weite Reisen unternahmen und die bildliche Wiedergabe ihrer Aufenthaltsorte beeinflussten: Sie kauften und verschickten Ansichtskarten, die zusammen mit Briefmarken und Stempel beglaubigten, dass sie auch wirklich dort waren. Einige der reisenden Amateurfotografen fabrizierten ihre Karten auch selbst und verschickten diese nicht für den freien Verkauf bestimmten Postkarten an Verwandte und Freunde.

Manch eine dieser Ansichtskarten wurde gesammelt, als Trophäe aus der Ferne an die Wand gehängt, in ein Postkartenalbum gesteckt, als kleines Fetischobjekt mit sich getragen. Oder sie fanden den Weg in die Sammlung eines Museums.

Archiv Material der Installation von Susanna Kumschik (2005)
Die selbst fabrizierte Ansichtskarte eines Zürcher Handlungsreisenden, Moçambique um 1900
© VKM Zürich

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