archive

2009 : 2008 : 2007 : 2006 : 2005 : 2004 : 2003 : 2002 : 2001 : 2000 : 1999 : 1998 : 1997 : 1996 : 1995 : 1994


programthematic project series
concept

concept : artists

Beth Derbyshire: God Save the Queen, I Want to Be Free, Double video projection, 7,5 min, 2002
Ein Kommentar von / a commentary by Ilari Valbonesi




A chiasm in near silence.
Some notes on Beth Derbyshire’s God Save the Queen, I Want to Be Free
 

Historically hymns have been the expression of a profound encounter between inner feelings and public space, to praise gladness. The word hymn from the Greek húmnos, carries on the intrinsic meaning, that of the compelling joy of singing to the other which gives also some indication as to the original character of hymn as response (antiphona).

But at what point does a Hymn, a song of freedom and joy expression becomes an Anthem to express and both witness (when performed) a devotion for the homeland?

Beth Derbyshire’s work God Save the Queen, I Want to Be Free retraces an original trait d’union in between, through the ‘interference’ of two paradoxical ‘anthems’ performed by deaf choirs whose ‘sign language’ is also not recognised as an official language in the UK. The double video projection stages an antiphon or call and response between the British Anthem God Save the Queen which glorifies the state of the Nation and the ‘anthem’ I Want to Be Free, a statement of freedom of voice against State repression of their language. 

The choirs are dressed in black – surrounded in the darkness thus emphasising their language, which is expressed through their hands and faces. They listen / watch each other perform and then reply with their respective song. At the end of each song, the choir turns to look at the viewer.

The ‘blind spot’, inherent in the listening / watching experience reveals an irreconcilable otherness in relation to one’s own sense existence. This otherness goes beyond boundaries of meanings present within fixed parameters of reading and opens up a non-hierarchical mode of conversation. This allows multiple voices to be heard as we encounter an interlacing of cultures. 

Further: the act of being appealed to and listening to a person or group becomes more than hearing something the other says. The hearing viewer is required to face the other and to embody the signs emerging from the darkness as a chiasm in near silence like those who are deaf. This affective ambivalence stems from responding to the other’s demand instead of merely interpreting it. The act of translation is thus amplified in the witnessing of this work.

---
Ilari Valbonesi
art critic, curator

Chiasmus in fast gänzlicher Stille.
Notizen über Beth Derbyshires God Save the Queen, I Want to Be Free 

Historisch betrachtet sind Hymnen der Ausdruck einer tiefgehenden Begegnung zwischen inneren Gefühlen und öffentlichem Raum, zum Lobpreis der Freude. Das Wort stammt vom griechischen húmnos ab, das die intrinsische Bedeutung der unbedingten Freude beim Singen für den Anderen trägt, was auch einen Hinweis auf den ursprünglichen Charakter des Hymnus als Antwort (antiphona) liefert.

An welchem Punkt aber wird aus einem Hymnus, einem Lied, das Freiheit und Freude ausdrückt, eine Nationalhymne, die sowohl Ausdruck ist als auch (in der Ausführung) Zeugnis gibt von der Hingabe an ein Heimatland? 

Beth Derbyshires Arbeit God Save the Queen, I Want to Be Free untersucht durch die ‹Interferenz› zweier paradoxer ‹Nationalhymnen›, die von Hörgeschädigten-Chören aufgeführt werden – deren ‹Zeichensprache› im Vereinigten Königreich nicht als offizielle Sprache anerkannt ist – ein ursprüngliches Bindungselement dazwischen. Die doppelte Videoprojektion zeigt ein Antiphon, Frage und Antwort, zwischen der britischen Nationalhymne God Save the Queen, die den Nationalstaat glorifiziert, und der ‹Hymne› I Want to Be Free, einem Ausdruck von Meinungsfreiheit gegenüber der staatlichen Repression ihrer Sprache.

Die Chöre sind schwarz gekleidet und von Dunkelheit umgeben, was ihre Sprache besonders hervorhebt, die sich durch ihre Hände und Gesichter ausdrückt. Sie hören / beobachten die Darbietung der anderen und antworten dann mit ihrem eigenen Lied. Am Ende des Gesangs wechselt der Blick der Chöre zum Zuschauer / zur Zuschauerin.

Der ‹blinde Fleck›, der der zuhörenden / beobachtenden Erfahrung innewohnt, enthüllt eine unüberbrückbare Andersheit in Bezug auf die eigene Existenz. Dieses Anders-sein liegt jenseits der Bedeutungsgrenzen, die innerhalb fester Parameter des Lesens liegen, und eröffnet eine anti-hierarchische Form von Kommunikation. Dies ermöglicht das Hören multipler Stimmen, während wir der Verschlingung verschiedener Kulturen begegnen.

Und weiter: aus dem Akt des Angesprochen-Werdens und des einer Person oder Gruppe Zuhörens wird mehr als das blosse ‹Hören, was ein anderer sagt›. Vom / von der hörenden ZuschauerIn wird verlangt, dass er / sie sich dem Anderen stellt und die Zeichen, die aus dem Dunkel kommen, ähnlich einem Tauben, als Chiasmus in fast gänzlicher Stille verkörpert. Diese affektive Ambivalenz entspringt nicht der blossen Interpretation sondern vielmehr der Antwort auf die Aufforderung des Anderen. So wird der Akt der Übersetzung in der Betrachtung der Arbeit verstärkt.

---
Ilari Valbonesi
Kunstkritiker, Kurator

*aus dem Englischen von Stefanie Lotz