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ZEITUNG [01/06] - INTERVIEW MIT MARION VON OSTEN

Die Shedhalle ist durch ihr vielseitiges Programm und die verschiedenen ProtagonistInnenen, welche die Shedhalle in den letzten 15 Jahren gestaltet haben, eine international viel beachtete Institution geworden und hat in der institutionskritischen Auseinandersetzung Modellcharakter angenommen.

Ein Anliegen von uns ist es, die Entwicklungswege, Veränderungen und Motivationen der thematischen, institutionellen und kuratorischen Ausrichtungen nachzuvollziehen. Hierfür befragen wir diejenigen, die an der Gestaltung und Entwicklung beteiligt waren und lassen sie aus persönlicher, politischer und kuratorischer Sicht zu Wort kommen: Die KuratorInnen, die GeschäftsführerInnen, Vorstandsmitglieder... In erster Linie die KuratorInnen. Die Idee ist es, einen Austausch über diese Themen in Form des Emailinterviews als eigenständige Rubrik für die SHEDHALLE ZEITUNG zu etablieren.

Begonnen haben wir chronologisch: Zunächst befragten wir Barbara Mosca, in der zweiten Ausgabe gab es ein Interview mit Renate Lorenz und Sylvia Kafehsy antwortete mit einem kurzen Statement. Für die dritte Ausgabe haben wir das Gespräch Ursula Biemmann fortgesetzt. Für diese Ausgabe haben wir Marion von Osten befragt.

INTERVIEW mit Marion von Osten
1996 bist du als Kuratorin an die Shedhalle gekommen. Was waren deine Beweggründe? Welche Möglichkeiten hatten dich an der Shedhalle gereizt, die andere Institutionen nicht in dieser Form bieten konnten?

Vorerst bin ich 1994 als Künstlerin an die Shedhalle gekommen und zwar durch die Einladung zu einem, für mich und andere Beteiligte, sehr wichtigen Ausstellungsprojekt nämlich When tekkno turns to sound of poetry, das von Juliane Rebentisch und Sabeth Buchmann initiiert worden war und in der Shedhalle stattfand und 1995 dann in den Räumen der Kunst Werke in Berlin fortgesetzt wurde. Für die Vorbereitung der Ausstellung hatten wir uns zur Eröffnung des Projektes Game Grrrl in Zürich getroffen. So lernte ich die Arbeit von Renate Lorenz mitkennen, wie auch Sylvia Kafhesy und Ursula Biemann, und natürlich die an when tekkno… beteiligten KünstlerInnen und TheoretikerInnen Marion Baruch, Ute Meta Bauer, Elfe Brandenburger, Judith Hopf, Anke Kempkes, Katja Reichard, Mona Rink, Pia Lanzinger, Stefanie Schulte-Strathaus usf.. Da ich durch ein Stipendium Ende der 1980er- Anfang der 1990er Jahre in New York gelebt hatte, war es für mich schon aus dem Grund wichtig all diese Frauen kennen zulernen, mit denen ich teilweise von da an immer wieder zusammengearbeitet habe. In New York war ich mit den aktuellen Arbeiten und dem künstlerischen Umfeld von Yvonne Rainer und Martha Rosler und der zweiten Generation der Institutionskritik in Kontakt gekommen, einige der wichtigen Ausstellung im Dia Arts Center, im Haarlem und New Museum hatte ich gesehen und war daher absolut beeindruckt, dass Fragen, die ich so bislang im deutschsprachigen Raum nicht behandelt sah, in der Shedhalle von dem bestehenden Team nicht nur angeeignet wurden, sondern in einen europäischen Kontext gestellt und weiterbearbeitet worden waren. Die Shedhalle war zu diesem Zeitpunkt die erste Kunstinstitution in Europa, in der ein Ausstellungsprogramm entwickelt wurde, das gesellschaftskritische - vor allem feministische - Ansätze in einem künstlerischen Feld diskutierte. Die Shedhalle war daher für mich absolut sexy, da sie gleichzeitig ein reales und ein symbolisches Handlungsfeld darstellte. Es war klar, hier wurden keine Gruppen-und Einzelausstellungen im Stil von Kunstvereinen konzipiert, sondern es wurden Projekte erarbeitet, die gesellschaftliche Diskurse einen Schritt weiter bringen, die das Denken, das Sehen und die Rolle der KünstlerIn verändern, die die Frage des Politischen überarbeiten und, die sich nicht an den üblichen Konventionen des Ausstellungsmachens orientieren. Der nächste Schritt, als Einzelkünstlerin an diese Institution zu gehen, war so eine konsequente Erweiterung meiner damaligen künstlerischen Praxis, d.h. die Realisierung eines Wunsches. Zudem hatte ich nun auch das erste mal ein zwar kleines, aber regelmässiges Einkommen mit dem, was ich tat und tun wollte. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich dann die Auseinandersetzungen um Produktionsbedingungen im Kulturbetrieb, die mich ja die letzten Jahre nicht mehr so schnell loslassen sollten.

Die Shedhalle vertritt seit Anfang der 90er Jahren die Idee einer egalitären und kollaborativen Praxis der Zusammenarbeit im Team. Du hast ja sowohl mit Renate Lorenz, Sylvia Kafhesy, als auch mit Justin Hoffmann und Ursula Biemann jeweils zeitlich versetzt gearbeitet: Eine Doppel- bzw. Dreifach-KuratorInnenbesetzung, ein Konzept, das vom Verein vorgegeben wurde. Wie habt ihr Eure gemeinsame Arbeit organisiert? Welches kollaboratives Verständnis gab es, und wie hat sich das auf die kuratorische Arbeit niedergeschlagen?

Auf die kuratorische Arbeit hat diese Konstellation sich nicht in dem Sinne niedergeschlagen, dass wir als KuratorInnenteams gleich auch gemeinsam Projekte konzipiert hätten. Wir hatten aber eine starke gemeinsame institutionelle Politik, inhaltliche Schwerpunkte und politische Interessen, die wie teilten und vor allem nach Aussen vertraten. Zudem kam ich 1996 bereits in eine Situation, die für Sylvia Kafhesy und Renate Lorenz nicht einfach gewesen war, der kalte Wind aus der Kunstszene und Kritik von den Vereinsmitgliedern am Programm hatten Spuren hinterlassen. Sie hatten bereits zwei Jahre etwas durchgekämpft und ich kam ganz frisch nach Zürich und wollte sehr gerne eine Kollaboration in und an den Projekten. Sylvia und ich haben im Sommer 1996 dann auch eine Ausstellung gemeinsam entwickelt, das für unser Selbstverständnis in Bezug auf Fragen der Jugendsubkulturen und der Ökonomie sehr wichtig wurde (The Funky Sight of Zurich) und auch als Justin Hoffmann kam im Jahr 1997, begannen wir mit einem kollaborativen Projekt, das wir zudem versuchten stärker an die Rote Fabrik anzudocken, das war Alt.Use.Media, ein Projekt, das eine Bestandsaufnahme alternativer Medienpraxis von den 70er Jahren zu den 90er Jahren vornahm. Justin und ich haben zudem im Jahr 1998 einen Jahresschwerpunkt entwickelt zur Kulturalisierung der Ökonomie aus dem dann auch die Publikation Das Phantom sucht seinen Mörder hervorgegangen ist. So arbeiteten wir zwar an verschiedenen Baustellen, aber der Versuch war eine inhaltliche Ausrichtung des Programms zu verstärken und langfristiger an Fragestellungen zu arbeiten, als dies in diesem eigenartigen Produktionstress nur mit einem einzelnen Projekt zu tun. Ursulas Arbeit war natürlich auch sehr wichtig, da sie eine transkulturelle und postkoloniale Diskussion einführte im Shedhalle Programm, was mir wiederum Mut machte, ein Projekt wie MoneyNations zum Abschluss meiner kuratorischen Arbeit an der Shedhalle zu realisieren. Eine absolut wichtige Zusammenarbeit in den Projekten war die mit Rachel Mader, Brigitta Kuster, Pauline Boudry und Nathalie Seitz, den sogenannten PraktikantInnen, die alle als Projektkuratorinnen an den Ausstellungen inhaltlich und organisatorisch mitarbeiteten. Aus dieser Zusammenarbeit hat sich sicher für mich nachträglich besonders viel entwickelt. Bis heute arbeite ich beispielsweise mit Brigitta Kuster bei kpD (kleines postfordistisches Drama) zusammen, aber auch mit Rachel Mader, Nathalie Seitz und Pauline Boudry sind immer wieder Möglichkeiten der Zusammenarbeit entstanden über den Kontext Shedhalle hinaus.

Die Shedhalle hat eine lange Tradition, sich mit gesellschafts-politischen Fragen auseinander zusetzten. Momentan scheint es verstärkt so, als würde es vielerorts in der institutionellen Ausstellungspraxis, der Kunstkritik und auch in der Rezeption durch das Publikum ein Bedürfnis nach einer neuen "Sinnlichkeit" in der Kunst geben. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns umso wichtiger, dieser Tendenz etwas entgegen zu setzen. Das Argument, dass Diskurs produzierende kulturelle Praktiken und "genuine" künstlerische Praxis sich auschliessen, bestimmt derzeit eine polarisierende Meinungsmache. Wie schätzt Du diese Tendenz ein? Und wie verortest Du deinen kuratorsichen Ansatz hier?

Diese Entwicklung ist ganz und gar nicht neu. Es gibt sie immer wieder und sie hängt stark mit der Politik und der Prosperität des Kunstmarktes zusammen. Es gab dieses Kunstverständins ja vor allem auch als Renate Lorenz und Sylvia Kafhesy in der Shedhalle 1994 begannen ihr Programm zu realisieren. Gleichzeitig wurden in der Shedhalle eben neue Spielräume einer kulturellen Praxis eröffnet und auch die Rolle des/der KünstlerIn und Kuratorin ganz neu verhandelt. Ich bin so auch nie davon ausgegangen, dass unsere kritische Ausstellungspraxis, der Kollaborationen zwischen KulturproduzentInnen, AktivistInnen und TheoretikerInnen, wie auch die Sozialität die daraus hervorgeht, eine ist, die einem traditionellen Kunstverständnis entsprechen könnte. Man arbeitet eben an einem anderen Verständnis und setzt sich so in eine Opposition zum Bestehenden. Unsere Arbeit war daher in den ersten Jahren in vielerlei Hinsicht im Off, in Zürich beispielsweise war die Shedhalle in den ersten Jahren total im Off und daran waren wir eben mit unserer Programmatik nicht unbeteiligt. Aus der Ferne betrachtet sah das vielleicht anders aus. Mittlerweile glaube ich aber, dass es - vor dem Hintergrund dieser Erfahrung - Ausstellungsräume und Formen der Ausstellungspraxis gibt, mit dem man ein grösseres Publikum ansprechen kann und sollte und zwar in einem populärkulturellen Sinn. Ausstellungen, die nicht rein im Kunstkontext angelegt sein müssen und in denen eine transdisziplinäre Ausstellungspraxis weiterentwickelt werden kann, wie ich sie praktiziere. Das Projekt Migration wäre dafür ein positives Beispiel.

Die Shedhalle - die einerseits an der städtischen Peripherie von Zürich gelegen ist, andererseits aber in ein dichtes Netzwerk aus europäischen Initiativen und Institutionen eingebunden ist - muss teilweise einen Balanceakt bewältigen, was Vermittlung und eine Politik der Aufmerksamkeit angeht. Wie hat sich die Frage für Dich in den 90ern gestellt und welche Konsequenzen hast Du daraus kuratorisch gezogen, insbesondere was die Vermittlung angeht?

Das letzte mal als ich euch besuchen kam, erinnerte ich mich daran, dass man so stark an der Vermittlung arbeiten muss, um Leute nach Wollishofen an den See, in die Shedhalle zu bekommen, obwohl wie es aussieht, sich das bei Euch ja schon verbessert hat. Es gab natürlich unterschiedliche Aktivitäten, aber die, die mir am besten gefiel und geblieben ist, war der Umgang mit Plakaten, Einladungen und Flyern, die wir jeweils mit unterschiedlichen GrafikerInnen produziert haben. Diese waren jeweils auf das Projekt spezifisch zugeschnitten und beinhalteten den Informations- oder Positionstext, Statements der TeilnehmerInnen und die Programmdaten. Das einzige was immer gleich blieb, war das Logo der Shedhalle. Damit haben wir sicher etwas in diesem Bereich Öffentlichkeitsarbeit getan, das nicht einfach nur brav museumspädagogisch war, sondern eine Beziehung auch zu popkulturellen Vorlieben herstellte. Diese Printprodukte funktionierten in einer Grafik-, Musik-, oder Politszene genauso wie in einer Kunstszene und hingen bei vielen Leuten noch lange nach den Projekten in den Wohnungen. So haben viele das Programm und seine Positionierung rezipiert, die nicht in Zürich lebten, oder keine Zeit hatten die Ausstellung anzuschauen, oder die Veranstaltung zu besuchen.

Das dritte Kapitel der Projektreihe Kolonialismus ohne Kolonien? wird sich mit Fragen der Ein- und Ausschlussmechanismen von MigrantInnen und Grenzregimen in der Schweiz beschäftigen. Du hast dich in den letzten Jahren im Kontext des Projekt Migration intensiv mit migrantischen Bewegungen in/nach Europa beschäftigt. Was sind deiner Meinung nach häufig vernachlässigte Fragen? Oder wo siehst Du kuratorisch und methodische Problematiken mit diesem Thema im Ausstellungskontext?

Das Projekt Migration hat in einem institutionellen Verbund die Nachkriegsgeschichte der Migration in Deutschland bearbeitet. Zentral war, das eine Selbstorganisation wie das Dokumentationszentrum und Museum für Migration DOMiT e.V. und die Forschung und Kulturproduktion von TRANSIT MIGRATION von Anfang an, an der Entwicklung des Projektes und den Forschungen zentral beteiligt waren. Zudem haben wir in einem Kuratorium, das die unterschiedlichen Partner und ihre Schwerpunkte repräsentierte die Konzeption der Ausstellung gemeinsam erarbeitet. Das Projekt Migration hatte also das Glück, dass, das gesamte Team fast ausschliesslich aus Leuten bestand, die selbst oder deren Eltern Migrationserfahrung hatten. Das müsste beispielsweise ein selbstverständlicher Standard sein, wenn man Projekte realisiert, die Migration diskutieren wollen, das die Erfahrung der Migration und migrantische Selbstorganisationen am Entscheidungsprozess und der Repräsentation teilnehmen. Was die thematische Frage angeht, ist es gleichsam notwendig von jeder Form der Herkunftskonzeption, wie auch von den Problematisierungsdiskursen wegzukommen und eher den Blick dahin zu wenden, dass Migration eine schlussendlich nie gänzliche regierbare Form der Bewegung von Menschen ist, die den Nationalstaat und seine Containerkonzeption herausfordern, bzw, bereits neue Lebensmodelle über die Grenzen hinweg entwickelt haben. Dafür sind neue theoretische Konzepte nötig, aber auch ein Richtungswechsel des Blicks auf unsere Gesellschaften: Wenn man von der Migration aus schaut, wirft dies ganz neue Fragen auf für unsere Konzeption von Staatsbürgerschaft und an daran gekoppelte Rechtsbegriffe, - hier sehe nicht nur ich, eine zentrale und weitreichende Debatte und den Handlungsbedarf für die Zukunft.

Es gibt viele wichtige Projekte von Dir, die viel besprochen wurden und häufig eine Art Initialzündung für andere waren, um sich politisch, künstlerisch und kuratorisch weiter mit Fragen zu beschäftigen, die unter anderem durch Deine Projekte aufgeworfen wurden. Zum Beispiel: MoneyNations (1998 Shedhalle; Kunsthalle Exnergasse 2000; Publikation 2003, gemeinsam herausgegeben mit Peter Spillmann), die Publikation das Phantom sucht seinen Mörder (1999, gemeinsam herausgegeben mit Justin Hoffmann) oder Sex and Space (1996, Shedhalle). Die "cultural industries" beschäftigten Dich in Atelier Europa (2004, Kunstverein München). Ein sehr wichtiges Projekt war das Projekt Projekt Migration (2005/06, Kölnischer Kunstverein). Wir sind neugierig. Was beschäftigt Dich zurzeit? Hast Du Pläne für ein neues Projekt und wenn ja, wo verortet es sich?

Wenn ich es genau überlege, arbeite ich jeweils an all diesen Themen mit unterschiedlichen Gewichtungen weiter. Das ist vielleicht der Unterschied zu einer eher klassischen kuratorischen Praxis im Kunstkontext, denn ich verfolge ein grundlegendes forschendes Interesse in meiner Arbeit. Vielleicht könnte man sagen es ist ein gesellschaftstheoretisches und daher schlussendlich politisches Interesse, das fragt, wie Subjektivitäten entstehen und welche Bedeutung darin jeweils die visuelle, kulturelle, politische, ökonomische, soziale Kultur im Wechselspiel zueinander hat. Das ist auch ein Grund, warum ich nicht gleich wieder an eine Institution gegangen bin, nach der Zeit an der Shedhalle, sondern Orte und Möglichkeiten suche, an denen ich mich stärker konzentrieren kann auf ein Projekt über einen längern Zeitraum. In so einer Praxis entsteht dann meisten auch ein inhaltlicher und sozialer Zusammenhang, den man dann nachträglich als transdisziplinär bezeichnet. Zudem interessiert mich weiterhin das Ausstellungsmachen als ein experimentelles künstlerisches und gestalterisches Feld und das Projekt Migration wird sicher nicht das Letzte dieser Art gewesen sein.

Ganz konkret schliesse ich aber gerade das Projekt <reformpause> mit dem Kunstraum der Universität Lüneburg und den Studierenden und Dozierenden ab, zur Geneaologie der Bildungsreformen vor dem Hintergrund des aktuellen europäischen Bologna Reformprozess. Ich habe dafür neben der Produktion einer Plakat- und Wandzeitung auch eine neue Installation und Soundarbeit für den Kunstraum realisiert. Wer vor allem meine kuratorische Arbeit kennt, wird da das eine oder andere wieder erkennen, oder vielleicht auch vermissen. Es eröffnet Mitte Mai.