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ZEITUNG [01/05] - INTERVIEW MIT RENATE LORENZ UND STATEMENT VON SYLVIA KAFEHSY

Zur Geschichte der Shedhalle: Entwicklungswege, Veränderungen und Motivationen der institutionellen, kuratorischen und thematischen Ausrichtung, werden in Interviews mit ehemaligen Teams erörtert.

Nachdem das Team Harm Lux/Barbara Mosca die Shedhalle professionalisiert und zu einer kuratierten Institution weiterentwickelt hatten, strebte 1994 der damalige Vorstand eine grundlegende Revision des programmatischen Konzeptes an, welche von den Kuratorinnen Sylvia Kafehsy und Renate Lorenz geplant und umgesetzt wurde. Aus dem Anspruch einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen, entstand eine starke Gewichtung auf Fragen zu Geschlechterverhältnissen und feministischer Theorie sowie Projekte zur Technologiekritik und den Folgen der Globalisierung. Kunst sollte in diesem Zusammenhang Beiträge zu aktuellen Themen liefern und sich gezielt der sozialen und politischen Realität zuwenden. Darüber hinaus sollte die Shedhalle ein Ort werden, an dem nicht nur künstlerische Projekte, sondern zugleich auch die Arbeits- und Tauschverhältnisse, in denen sie entstehen, gezeigt werden. Das implizierte, dass die Auseinandersetzung mit den politischen Bedingungen und Gegebenheiten der Kunstproduktion und -rezeption zu einem integralen Bestandteil der Arbeit in der Shedhalle wurde.

Die folgenden Fragen stellten wir in einem Email-Interview Renate Lorenz und Sylvia Kafehsy. Die Antworten von Renate Lorenz folgen direkt auf die Fragen, Sylvia Kafehsy schickte uns ein Statement, welches sich im Anschluss an das Interview findet.

INTERVIEW mit Renate Lorenz
Die programmatische Neuorientierung welche die Shedhalle nach der Ära Lux/Mosca vorgenommen hat und von Euch umgesetzt wurde, wird häufig als "Bruch" bezeichnet. Dieser "Bruch" liegt ungefähr zehn Jahre zurück und Ihr beide wart die ersten Kuratorinnen der neu ausgerichteten Shedhalle. Uns interessiert was dieser "Bruch" alles beinhaltet hat und was Eure konkrete Motivation für die konzeptuelle Neuorientierung war?

Es war vielleicht weniger ein "Bruch" im Programm der Shedhalle, als die "Erfindung" einer institutionellen Produktion, die es nirgends gab und die wir uns wünschten. Möglich wurde sie durch die Offenheit des damaligen Vorstandes und die Idee, eher ein Team als eine kuratorische Einzelposition zu engagieren. Was die Shedhalle aus meiner Sicht von allen anderen Institutionen unterschied, war, dass wir sie insgesamt als "feministische Institution" zu gestalten versuchten und dabei den theoretischen und politischen Überlegungen eines dekonstruktiven (queeren) Feminismus folgten. Die Geschlechterperspektive war nicht ein Thema (unter anderen). Eigentlich jedes Projekt positionierte sich feministisch, intervenierte in geschlechtsspezifische Normen, Hierarchien und Ausschlüsse. Mit den Ausstellungsprojekten verfolgten wir den zu dieser Zeit noch nicht erprobten Ansatz, Theorie, Aktivismus und Kunst zu verbinden, sowohl was die sozialen Felder anging, die Personen, die jeweiligen Medien, die institutionellen Formen und Ästhetiken, als auch die Produkte, die Darstellungen und Überlegungen, die darin jeweils erarbeitet wurden. Zugleich nutzten wir die Institution immer wieder, um uns in die städtische/staatliche Politik, in die Politik anderer kultureller Institutionen, aber auch in die Drogenpolitik oder Flüchtlingspolitik aus einer feministischen Perspektive einzumischen. Nicht zuletzt waren wir ein Frauenteam und es waren sehr viele feministische Künstlerinnen, Theoretikerinnen und Aktivistinnen an den Projekten beteiligt, und immer wieder auch jüngere Künstlerinnen und Kunststudentinnen. Da alle Projekte hinsichtlich der eingegangenen Kooperationen, der Struktur der Zusammenarbeit mit den Beteiligten unterschiedlich funktionierten und jedes neue Projekt sozusagen wieder ein "Testlauf" war, haben wir zudem immer wieder, mal aus eigenen Überlegungen heraus, mal eher unsanft von den Beteiligten herausgefordert, die Arbeitsstrukturen der Shedhalle, die Verteilung von Geld, oder die Frage, wie wer medial repräsentiert ist, befragt.

Ist für Euch heute dieser "Bruch" nach wie vor von großer Bedeutung oder würdet Ihr ihn in der Retrospektive anders beurteilen, als er allgemeinhin diskutiert wird?

Die "Erfindung" dieser Form von Arbeit in/mit einer Institution erscheint mir weiterhin wichtig. Dazu war aber auch das Umfeld nötig, das zu dieser Zeit aktiv war, all die Gruppen, KünstlerInnen, AktivistInnen, die immer wieder an den Ausstellungen mitgearbeitet haben, die aber auch eigene Arbeiten im gleichen/ähnlichen Feld von Kunst und Politik machten. Die relative Breite von politisch-künstlerischen Initiativen im Kunstfeld, mit denen wir in Kontakt standen, stützte unseren Versuch, einiges an "Selbstinterpretation" in Bezug auf unsere Arbeit zu leisten und uns in "Interpretationskonflikte" mit anderen AkteurInnen oder Institutionen hineinzubegeben. Die Formulierung, dass diese Arbeit, diese Projekte auch eine Kritik (und manchmal auch Selbstkritik) an konventionellen Institutionen, ihren Hierarchien, ihrem Kunstbegriff, ihrer Politik und den produzierten Ausschlüssen beinhaltete, stand dabei Mechanismen entgegen, die eine Institution wie die Shedhalle in einen kulturellen Pluralismus integrieren und damit in gewisser Weise auch "befrieden" und entpolitisieren.

In erster Linie ging es um einen anderen Kunstbegriff und die Bearbeitung von Themen, die sich ihrer gesellschaftlich politischen Relevanz bewußt sind. Ihr habt Euch unter anderem intensiv mit der Frage nach Genderidentitäten und -konstruktionen beschäftigt. Welche Projekte sind für Euch mit dem zeitlichen Abstand "Kernprojekte"?

Mein erstes Projekt an der Shedhalle, die Ausstellung Game Girl (1994, unter dem Titel Game Grrrl im gleichen Jahr im Münchener Kunstverein fortgeführt), entwarf ein Ausstellungsmodell, das für meine weitere Arbeit immer wieder eine Rolle spielte; einerseits weil sie sehr direkt in ein Feld intervenierte, das zu dieser Zeit im Kunstbereich großen Aufwind hatte: die Faszination für "Techno"-Ästhetik und ein damit verbundener oft sehr unkritischer und affirmativer Bezug auf Gen- und Biotechnologie, der in vielen großen Ausstellungen, etwa in der Bundeskunsthalle in Bonn oder in den Hamburger Deichtorhallen (Posthuman) zelebriert wurde. Gerade die aus der Gender-Theorie etwas grob importierte Idee, der Körper und seine geschlechtliche Identität seien "konstruiert", war Anlass für den idealistischen Schluß, diese stünden dann einer eigenen und "selbstbestimmten" Konstruktion (via Gen- und Biotechnologie) offen. Wichtig war für mich an Game Girl andererseits die Entwicklung und Erprobung eines Ausstellungsmodells, das künstlerische Arbeiten aber auch aktivistisches Material oder eine dokumentarisch-analytische Ausstellung zu "wissenschaftlichem Zeichnen" integrierte, ohne es nur summarisch nebeneinanderzustellen. Meine Vorstellung war, sowohl den einzelnen Arbeiten und Materialien Raum zu geben, als auch eine ausstellungsspezifische, raumbezogene (+ nicht sprachliche) "Argumentation" zu entwerfen und zudem die kuratorische Position und die kuratorischen Eingriffe kenntlich zu machen, also eine Art "feministischer Standpunkttheorie" auf Ausstellungsebene zu entwickeln. Dabei orientierte ich mich an theoretischen Arbeiten der US-amerikanischen Wissenschaftlerin Donna Haraway und an formalen Erfindungen in den Filmen von Yvonne Rainer.

Aber es gab andere Projekte, die ganz anders vorgingen und mir waren die Diskussionen darüber wichtig, wie Arbeitsstrukturen und formale Entscheidungen/Ergebnisse zusammenhängen: so entstand beispielsweise die Ausstellung when tekkno turns to sound of poetry (1994, und 1995 in den Berliner Kunst-Werken), die von Sabeth Buchmann und Juliane Rebentisch initiiert wurde, als ein kollektives Projekt von ca. 30 beteiligten Künstlerinnen, Aktivistinnen und Kuratorinnen, was ganz andere Schwierigkeiten einer gemeinsamen Formulierung aber auch andere Möglichkeiten einer Öffnung des Projektes bot.

Die Diskussion über welche Kunst wir sprechen, wenn wir von ihr als politisch sprechen, wird in vielen aktuellen Projekten befragt. Es scheint momentan jedoch eine Art Sprach- und Ratlosigkeit vorzuherrschen, wenn über den Zusammenhang und die Möglichkeiten von gesellschaftspolitischen Anliegen und Kunst gesprochen wird. Wie müßte für Euch ein politisches Projekt im kunstinstitutionellen Kontext aussehen?

Aus meiner Sicht hängt das Steckenbleiben vieler Projekte vor allem in den größeren Institutionen damit zusammen, daß ein gesellschaftspolitisches Projekt als "Thema" behandelt wird. Und dass viele Institutionen so arbeiten, dass das nächste Projekt eben ein ganz anderes Thema bearbeitet, in dem die Überlegungen und politischen Standpunkte des vorhergehenden keine Rolle mehr spielen. Zudem steht die im Rahmen einer Ausstellung formulierte politische Kritik oft in krassem Gegensatz zu den Hierarchien und Arbeitsweisen, der Verteilung von Geld und Anerkennung innerhalb der Institution selbst, die sie produziert. Eine Veränderung hegemonialer Repräsentation bedeutet zudem ja nicht nur, andere Themen in die Institutionen zu bringen, sondern im Sinne einer politischen Vertretung auch anderen RepräsentantInnen strukturell eine Möglichkeit der Äußerung zu eröffnen.

Wenn die Kulturproduktion eine partizipatorische und widerständige Praxis fordert, braucht sie die Partizipierenden und Engagierten. Wie habt Ihr diesen Personenkreis damals erreicht bzw. wie denkt Ihr müssten heute BesucherInnen/Teilnehmende im kunstinstitutionellen Rahmen angesprochen oder eingebunden werden?

Als wir nach Zürich kamen, haben wir Kontakt zu vielen Initiativen und Gruppen in der Schweiz aufgenommen. (Umgekehrt haben wir aber auch immer wieder an politischen Initiativen mitgearbeitet, zu Gentechnologie, zu Aids oder zu Stadtpolitik, die nicht unbedingt im Kunstfeld verortet waren.) Das, was daran funktionierte, war jedoch nur möglich, weil es eine Kontinuität der Fragen und Diskussionen gab, die an der Shedhalle verhandelt wurden. Ich denke auch, daß die Ausstellungsprojekte zwar einen gewissen Ausschluß gegenüber KünstlerInnen produzierten, die nicht themenbezogen arbeiteten, aber andererseits eine Offenheit herstellten, gegenüber allen, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigten und diese sehr leicht von BesucherInnen zu Beteiligten machten.

Eine kollektive und egalitäre Praxis wurde u.a. von Euch programmatisch für die Shedhalle neu definiert. Wie würdet Ihr die Qualitäten einer solchen Praxis, die Eure Projektarbeit mitbestimmt hat, beschreiben?

Wie schon angedeutet, hat sich oft über Konflikte etwas bewegt, denn wir haben natürlich viele Fehler gemacht, z.B. was den Umgang mit Geld anging, auch da, wo es "gut gemeint" war. So habe ich z.B. zu Beginn den ökonomischen Druck, der an mich als "Verantwortung" von Seiten der Stadt und des Vorstandes übertragen wurde, direkt an weitere Beteiligte vermittelt und dadurch viel Unsicherheit produziert anstatt etwas analytischer zu betrachten, wie diese "persönliche Verantwortung" machtvoller Teil städtischer Sparpolitik wird. Es dauerte auch eine Weile, zu verstehen, daß "egalitäre Praxis" nicht bedeutet, bestehende Unterschiede möglichst unsichtbar zu machen. Wenn eine KuratorIn mit bezahlter Stelle sich ein Projekt ausdenkt und weitere Beteiligte dazu einlädt, dann besteht da eine Ungleichheit in Bezug auf finanzielle und kulturelle Ressourcen, mit der umgegangen werden muss. Ich denke, es ist in jedem Fall nötig, die eigene Praxis in einer Weise zu strukturieren, die Raum für Konflikt und Auseinandersetzung, oder natürlich auch für "freundschaftliche Diskussion" bietet.

Renate Lorenz arbeitet als Filmemacherin, Kuratorin und Autorin, aktuell an einem transdisziplinären Forschungsprojekt zu Arbeit, Sexualität & Prekarisierung (www.queeringwork.de).


STATEMENT von Sylvia Kafehsy
Ihr beschreibt: "Das Ausstellungsmachen verstehen wir in diesem Zusammenhang als Dispositiv: die kulturelle Praxis soll kontextorientiert auf spezifische gesellschaftspolitische Fragen hin entworfen und vermittelt werden. Die Shedhalle versteht sich als Ort der Produktion, Vermittlung, Recherche, Diskussion und Distribution durch Nutzung verschiedener medialer Kanäle."

Für mich war Ausstellungen machen kein Dispositiv, sondern Teil eines Dispositivs, das nach meiner Interpretation von Foucault ein Feld beschreibt, als einen Macht-Wissens Komplex heterogener Elemente. Das ist für mich ein signifikanter Unterschied in der Form, wie man sich in dieses Feld einschreibt und darin eine Institution positioniert. Mir fällt bei euren Fragen auf, dass ihr die Institution als solche in den Mittelpunkt stellt, ich versuche, das was ich meine im Folgenden (hoffentlich) etwas zu präzisieren.

Der Fokus meines Interesses war zum Beispiel nie, einen herkömmlichen Kunstbegriff als solchen zu verändern oder den institutionellen Rahmen zu thematisieren, sondern Inhalte gesellschaftlich produktiv zu machen. Mit dieser Frage könnte man unser Shedhallenprogramm meines Erachtens im Nachhinein beurteilen. Und hier gibt es einige Schlüsselereignisse für mich. Zum Beispiel, sich in ein machtpolitisches Feld einzuschreiben, wie wir das mit unserem ersten Projekt 8 Wochen Klausur gemacht haben, [Bei dem Projekt 8 Wochen Klausur wurde zum einen in einem auf dem Zürichsee fahrenden Schiff kleine, nicht öffentliche Gesprächsgruppen zum Thema Drogen initiiert. Zum andern wurde der Verein ZORA gebildet, der drogengebrauchenden Frauen eine Schlaf-, Aufenthalts- und Beratungsstelle zur Verfügung stellt. Anm.d.Red.]; das war ein Schlüsselereignis, das mir gezeigt hat, dass man so als eine kulturelle Institution machtstrategisch nicht agieren kann. Die Pläne für die Lettenräumung waren schon längst in den Schubladen der ParteipolitikerInnen - mit uns führten sie nette Schiffsgespräche. Die Inhalte, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben, betrachte ich aber heute als gesellschaftlich virulent.

Beispiele:
Die Thematisierung von Gentechnologie und die Einschreibungen wissenschaftlicher Autorität in diesem Sektor, Thema der "Berliner Gruppe", sind heute Topoi in kritischer Wissenschaftstheorie und im sozialwissenschaftlichen Bereich der Biopolitik.
Ein anderer Themenbereich, kritische Stadtentwicklungstheorie, in die ich auch meine Arbeiten eingeschrieben habe - sind bezüglich Ausgrenzung und Kontrollgesellschaft heute Teil der Kritik an neoliberalen Gesellschaftsstrukturen. Ich würde heute die Inhalte anders positionieren, anstatt Zensur, z. B. Selbstregulierung in strukturellen Prozessen thematisieren.
Ein headliner in der Mainstream-Presse ist heute "Ich AG" oder andere Benennungen die einen Umbruch der Arbeitsverhältnisse in neoliberalen Strukturen signalisieren. Diese Freelance-Erweiterung haben wir sehr früh thematisiert. Hierin war unser Shedhallenprogramm meines Erachtens produktiv.

Gearbeitet haben wir in einem aktiv-produktiven Umfeld; damit meine ich, wir haben nicht in erster Linie für EinzelbesucherInnen gearbeitet. Das konnten wir damals nach rückwirkender Betrachtung nicht leisten, weil wir viel zu stark in Gruppen mit der Aufarbeitung der Inhalte befasst waren und aktiv im politischen Widerstand (z. B. Innenstadtaktionen) mitgewirkt haben. Heute wäre es meines Erachtens eher möglich, da ja die Inhalte wie ich sie beschrieben habe, allgemein präsent sind und ich jetzt eher die Aufarbeitung von Inhalten in Ausstellungen fokussieren würde. Es ginge mir hier um die Situierung von "imaginierten EinzelbesucherInnen" oder wie es im Wissenschaftsjargon heisst, der "Imaginierten Laien". Das ist für mich heute ein wichtiges Thema, das würde ich heute ernst nehmen.

Ich hoffe, ich konnte damit meine Verschiebung des Begriffs Dispositiv - und damit die Positionierung der Institutionen vom Zentrum weg - innerhalb eines gesellschaftlichen Prozesses verdeutlichen.

Sylvia Kafehsy verdient ihren Lebensunterhalt mit diversen Computerkursen, Webhosting und Webdesign.