archiv

2009 : 2008 : 2007 : 2006 : 2005 : 2004 : 2003 : 2002 : 2001 : 2000 : 1999 : 1998 : 1997 : 1996 : 1995 : 1994



konzept : treffen : künstlerInnen : filmprogramm
bankleer

bankleer, lebt und arbeitet in Berlin
Die Berliner KünstlerInnengruppe bankleer verhandelt in ihren Performances, Videos und Installationen die unverhältnismäßige Formkraft des kapitalistischen Prozesses, die mit ökonomischen Versuchen der Ein- und Ausgrenzung als Resultat einer neoliberalen Nivellierung gesellschaftlicher Verhältnisse einhergeht.

Der wesentliche Aspekt aktueller Formen des globalen Kapitalismus besteht in jener Dualität von freiwillig und unfreiwillig prekarisiertem Leben. Während sich ersteres auf neoliberale Formen des neuen Selbständigen bzw. auch des KünstlerInnendaseins bezieht, gilt bankleers Aufmerksamkeit jener zweiten Art existenzialistischen Daseins, einer in einem marginalisierten sozialen Raum agierenden Bevölkerungsschicht.


Lenas Gespenster

Wachsende Ungleichheiten, die Herrschaft der Konzerne, apathische BürgerInnen und die weltweite Hegemonie einiger Teile des Westens zeigen uns, dass Demokratie weit von ihrer Verwirklichung entfernt ist. Die kreative Spannung, die durch die teilweise unkompatiblen Prinzipien Liberalismus und Demokratie entsteht, weicht dem Gesellschaftsmodell einer Konsenspolitik der Mitte, ohne wirkliche Konfrontation. Dazu droht das politisch Imaginäre seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gänzlich zu verschwinden.

Um die Schliessung eines offenen demokratischen Projekts zu verhindern, ist die Möglichkeit einer Wahl zwischen wirklichen Alternativen dringend erforderlich: Es gilt ein Bewusstsein gegenüber echten Alternativen in Form von Zusammenschlüssen, neuen Solidaritätsformen und gesellschaftsverändernder Potentialen wiederzubeleben. Ein dafür wichtiges emanzipatorisches Organ sind selbstorganisierte Kollektive und Gemeinschaften, die gegenüber dem Mainstream im Unsichtbaren existieren und von Zeit zu Zeit als passagere Phänomene auftauchen.

bankleer begibt sich auf die Suche nach utopischen, künstlerisch-politischen Gemeinschaften, die auf einem gemeinsamen radikalen Bekenntnis gründen, und sich oft an unzugänglichen Orten wie Inseln oder Gebirgen niedergelassen haben. Utopische Gemeinschaften, die nicht mit dem herrschenden Mainstream harmonisieren und daher keine Chance haben von der Öffentlichkeit akzeptiert zu werden. Geschichtlicher Referenzpunkt dafür sind sozialutopistische Bewegungen um 1900, die Künstlerkolonie Monte Verità und Lenins dortiger Aufenthalt.

Mit dem Potential der historischen Erfahrung, versuchen wir herauszufinden, wie heute derartige utopische Gemeinschaften zustande kommen, welche inhaltlichen Präferenzen sie verfolgen und welche Ästhetik sie für die Sichtbarmachung ihrer Inhalte, Forderungen und Ziele wählen.



videostill: bankleer, Lenin die Treppe herabsteigend, Monte Verità, 2007





Projektentwicklung
Ausgehend von dem historischen Referenzpunkt der sozialutopischen Bewegungen um 1900 und konkret der KünstlerInnenkolonie Monte Verità und Lenins dortigem Aufenthalt untersucht bankleer utopisch, künstlerisch-politische Gemeinschaften und ihrer Relevanz als Gegenentwurf zum gesellschaftlichen Mainstream in der Gegenwart. Nachdem in einem ersten Projektabschnitt in einer umfangreichen Videoinstallation unter anderem Aufnahmen von Performances, Interviews zum Utopiebegriff und über Lenins Geist als wiederkehrender Untoter sowie Re-Inszenierungen von Ritualen auf dem Monte Verità miteinander verknüpft wurden, verweist zur Zeit in der Shedhalle ein Banner mit einem Inselmotiv und Slogans auf die Planung eines Workshops, der diesen Sommer in den Bergen um den Monte Verità statt?nden soll. Gemeinsam mit SpezialistInnen auf dem Gebiet der Selbstorganisation welche die TeilnehmerInnen begleiten, soll auf einer Bergtour ein Selbstversuch unternommen werden, in dem es einerseits um Erfahrungsaustausch geht und andererseits vor dem Hintergrund der konkreten räumlichen Situation – zum Beispiel verlassener Bergdörfer –eigene Utopien, Formen der Selbstorganisation und Praktiken re?ektiert werden, um eventuelle Pläne zu entwickeln.

Der Termin für die Bergtour und den Workshop wird noch bekannt gegeben.




Exkursion Monte Verità!

Zum Abschluss von Lenas Gespenster haben wir gemeinsam mit bankleer und SpezialistInnen auf dem Gebiet der Selbstorganisation wandernd Erfahrungen ausgetauscht und eigene Utopien, Formen der Selbstorganisation und Praktiken reflektiert. Neben bankleer mit einem Beitrag zum Thema Re-Inszenierungen, haben Millay Hyatt (vergleichende Literaturwissenschaft) mit einem Beitrag zum Thema Utopie und Natur und Frauke Hehl (Leiterin der workstation Berlin) mit einem Beitrag zum Thema Social Organising und High Tech Self Providing, an dem dreitägigen Austausch teilgenommen. Von 19. bis 21. September 2008 sind wir im Gebiet um den Monte Verità gewandert, haben historische Stätten aufgesucht und die letzten Zeitzeugen befragt. Einige Bilder geben einen Eindruck:

Extra Ausgabe der Tessiner Zeitung über den Monte Verità. Deutlich wird: Der Monte Verità befindet sich im Spagat zwischen Utopietourismus, historischer Aufarbeitung und der Frage der gegenwärtigen Bedeutung des Monte Veritàs.



Hetty Rogantini-De Beauclair lebt seit ihrer Kindheit auf dem Monte Verità. Sie führt als eine letzte Zeitzeugin durch die Ausstellung und das Gelände.



Casa Anatta: Ausstellung über die Geschichte des Monte Veritàs von Harald Szeeman.


Beitrag und Gespräch von und mit Frauke Hehl (Leiterin der workstation Berlin) über Social Organising und High Tech Self Providing. Im Vordergrund ein selbst gebauter Radiosender, zu bestellen bei Pi-Radio.



Blick auf die Umgebung rund um den Monte Verità.


Beitrag und Gespräch von und mit Millay Hyatt (vergleichende Literaturwissenschaft) über Utopie und Natur auf den Brissago Inseln.

zurück zu KünstlerInnen Übersicht