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THE MENTAL COMMA INSTAED OF THE FULLSTOP1
DAS GEDANKLICHE KOMMA STATT DES FULL STOP

Text: Sønke Gau und Katharina Schlieben

Die Shedhalle besetzt eine Nische zwischen anderen Institutionsformen. Sie ist weder Galerie, noch Museum, noch Off-Space. Dieses "Dazwischen" ist eine Chance, die eine vielseitige Ausstellungspraxis erlaubt, aber auch zu dieser verpflichtet. Die kulturelle Praxis soll kontextorientiert auf spezifische gesellschaftspolitische Fragen hin entworfen und vermittelt werden. Die Shedhalle versteht sich als Ort der Produktion, Vermittlung, Recherche, Diskussion und Distribution durch Nutzung verschiedener medialer Kanäle. Nach unserem Verständnis muss sich die kuratorische Praxis von dem "Ausstellungsraum" als Ort der reinen Präsentation für zeitgenössische Kunst verabschieden: hierfür muss sie Wege und Orte (er)finden. Die Idee des "Ausstellens" neu zu definieren ist ein Schwerpunkt, an dem die Shedhalle seit Jahren in konzeptueller und performativer Weise arbeitet. Diese Suche nach experimentellen Formen der "Darstellung" möchten wir fortsetzen.

Die künstlerischen Praktiken fordern Kunstinstitutionen heraus, die Institution als Ort und Display der Erforschung künstlerischer Praxis zu nutzen, gleichsam führen sie das Medium Ausstellung performativ vor. Eine Erforschung ästhetischer Praxis muss diese schließlich selbst zum Ausgangspunkt nehmen. Hier muss die Institution hinterfragen, inwiefern sie selbst ein Modell der Wissensproduktion offeriert. Die Shedhalle möchte sich von den KünstlerInnen inspirieren lassen und von ihren Modellen der Produktion, Präsentation und der Vermittlung lernen.

Die Shedhalle bringt künstlerische, kulturelle und wissenschaftliche Praktiken gesellschaftspolitischer Relevanz miteinander in Dialog. Sie versteht sich als Versuchs- und Untersuchungsfeld, auf welchem ausprobiert, gezeigt, diskutiert wird. Die Shedhalle bietet ein Forum für Kulturproduzierende und BesucherInnen. Dies verlangt von der Institution eine Transparenz der Arbeitsabläufe und Arbeitsformen, die sich nicht auf den ersten Blick vermitteln. Denn eine Kunstinstitution wie die Shedhalle arbeitet einerseits präsentationsorientiert, wenn sie eine Ausstellung eröffnet oder zur Filmnacht einlädt, und anderseits produktions- und rechercheorientiert, vergleichbar mit einem Forschungsinstitut, einem Studio oder einer Werkstatt.

Die künstlerische sowie die kuratorische Praxis dürfen nicht auf einer illustrativen Ebene verharren, sondern sollten einen Modellstatus annehmen, bei dem es nicht wie bei der klassischen Institutionskritik nur um das Aufzeigen von Schwachpunkten und Fragen innerhalb des Kunstsystems geht. Kunst kann nach unserem Verständnis alternative Modelle und subversive Unterwanderungen zu bestehenden Ordnungssystemen vorstellen. In diesem Kontext halten wir es für wichtig, den Arbeitsprozess und seine Form genauer zu untersuchen. Besonderes Augenmerk gilt daher der Erforschung künstlerischer Praxis, der mit dem Langzeitprojekt Vor Ort ein wichtiger Platz im Programm der Shedhalle eingeräumt wird. Uns interessiert eine künstlerische Praxis, die durch kommunikative und partizipatorische Strategien den gesellschaftlichen, urbanen, ökonomischen oder medialen Raum infiltriert. Ausgangspunkt für diese Projekte ist eine Ausweitung des Untersuchungsfeldes auf ein interdisziplinäres Feld von Cultural Studies, feministischer Theorie, Urbanismus, sowie ästhetischer und politischer Praxis.

Diese künstlerische Praxis benötigt eine langfristige institutionelle Zusammenarbeit, damit sie gesellschaftlich zirkulieren und vermittelt werden kann. Wir möchten von daher eine Dynamik vorschlagen, die es erlaubt, Langzeitbeziehungen zu den KünstlerInnen aufzubauen und inhaltliche Themenlinien über mehrere Einzelprojekte hinweg zu verfolgen. Inhaltliches thematisches Arbeiten über einen längeren Zeitraum kann häufig auf Grund fehlender Ressourcen in Kunstinstitutionen nicht geleistet werden; deswegen befürworten wir eine Langsamkeit, die durch Ausstellungsformen in Kapiteln, Stationen oder "in progress" ein langfristiges Arbeiten mit inhaltlichen Schwerpunkten erlaubt: "Das gedankliche Komma statt des Full Stop". Wir haben uns daher entschieden, zu einem thematischen Schwerpunkt über ein Jahr zu arbeiten. Dieses Vorgehen erlaubt uns, die Fragen, die sich während oder zum Ende eines Ausstellungskapitels stellen, im nächsten Kapitel aufzugreifen.

Die Shedhalle ist wunderschön am See außerhalb des Stadtzentrums gelegen, allerdings scheint sie in der Wahrnehmung vieler ZürcherInnen zu weit entfernt, um eben mal vorbeizukommen. Eine zentrale Frage ist daher für uns, wie wir die Shedhalle wieder näher an die Stadt rücken können. Um die Projekte, die in der Shedhalle stattfinden, zu vermitteln, liegt ein weiterer Schwerpunkt auf dem Bereich der Kommunikation und der Vermittlung liegen: Das direkte Gespräch mit den BesucherInnen und Recherchen VOR ORT sind uns wichtig. Neben verschiedenen kuratorischen Gesprächsformaten, bieten die KuratorInnen regelmäßig Führungen an, die dialogisch gestaltet werden. Eine weitere Möglichkeit der Öffnung zur Stadt ist die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, unter anderem auch ein intensiver Austausch mit den Hochschulen: Academy in Residency.

Neben der inhaltlichen Vermittlung ist uns auch die mediale Vermittlung ein Anliegen. Hier möchten wir der Website einen wichtigen Platz einräumen. Ein Online-Archiv sammelt bisherige Projekte und bietet Raum für Dokumentationen, die den Prozess der Arbeit in der Shedhalle retrospektiv und prospektiv transparent machen sollen.

Für unsere Arbeit ergeben sich aus diesen Überlegungen Arbeitsformate, mit denen wir das Programm der Institution gestalten möchten: Die bereits erwähnte Thematische Projektreihe, die sich über ein Jahr entwickelt und in Ausstellungsprojekten, Symposien und Publikationen verschiedene Schwerpunkte behandelt. Mit der Fokussierung auf künstlerische Produktionen und Interventionen und der damit einhergehenden Erforschung künstlerischer Praxis arbeitet das Projekt Vor Ort. Die Shedhalle Zeitung, die sich einerseits an die Mitglieder der Shedhalle, andererseits an InteressentInnen, KollegInnen und FreundInnen innerhalb und außerhalb der Schweiz richtet, berichtet halbjährlich über die Projekte der Shedhalle berichten und eine Plattform für die Dokumentation von Projekten, Essays, aber auch für kuratierte Seiten, etwa mit der Sektion "HOSTED BY", liefern. Ein weiter Schwerpunkt liegt auf filmischen Arbeiten, sie begleiten entweder Projektlinien in Form von Filmreihen oder sind direkt in die Ausstellungsprojekte integriert.

Alle Arbeitsformate zusammen ergeben ein dynamisches System, das man sich clusterähnlich vorstellen kann. Die Module wechseln sich ab, verschränken sich ineinander, reflektieren und kommentieren sich gegenseitig. Dieses Modell ist beeinflusst durch programmatische Ideen, die im Kunstverein München vom kuratorischen Team (2002-2004) erarbeitet wurden. Die Formate haben unterschiedliche Rhythmen, was den BesucherInnen, den TeilnehmerInnen und ProduzentInnen unterschiedliche Rezeptions- und Produktionsmuster erlauben. Sie werden auf dieser Website genauer beschrieben.



1 kuratorisches Image von Johanna Lassenius